Hochfranken-Feuilleton
 Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur nicht die langweilige.  (Voltaire)
Aktuell

27. April, Kino

Vor 159 Jahren endete das Gemetzel zwischen den Nord- und Südstaaten der USA - jetzt verheert neuerlich ein Civil War die USA. In der beängstigend authentischen, weil schockierend grausamen Dystopie schickt Alex Garland vier Medienleute durch eine Hölle auf Erden, in der sich erweist: Krieg, für ein Volk beinah das schlimmste Unheil, wird nur von einem noch schlimmeren getoppt: von Bürgerkrieg.



Eckpunkt

Geben statt nehmen

Von Curiander

20. April   Seit es einen Kunstmarkt gibt, wird mit Kunst gehandelt, die keine genannt werden darf. Als Täter gehen einerseits Ganoven zu Werke, die über hohes Können verfügen mögen, aber der inspirierenden Kreativität entbehren, sodass sie es mit ihren Erzeugnissen bei bloßer Nachmacherei von Vorgegebenem bewenden lassen müssen. Andererseits machen sich nicht minder versierte Handwerker an die Arbeit, die zusätzlich über genug Eingebung verfügen, um Persönliches hervorzubringen, nur eben im Stil von Zelebritäten. Größte Prominenz in jener Gruppe erarbeitete sich Wolfgang Fischer, der es unterm Künstlernamen Wolfgang Beltracchi zum „Jahrhundertfälscher“ brachte: Bis er 2010 aufflog, imitierte er gewinnbringend alle möglichen Sujets so meisterlich in der Malweise etwa von Max Ernst, Max Pechstein oder Heinrich Campendonk, dass auch ausgebuffte Kenner auf die Falsifikate hereinfielen; inzwischen bietet Beltracchi seine Produkte als Marke feil. Nicht als Fälscher, sondern als selbstbewusster Maler aus persönlicher Kraft wollte sich vor einigen Wochen ein Techniker der Pinakothek der Moderne in München bewähren, indem er Joseph Beuys’ Devise, der zufolge „jeder Mensch ein Künstler“ ist, konsequent auf sich anwandte: An einer Wand der weltbekannten Sammlung brachte er mitten unter auserlesenen Exponaten ein Gemälde aus seinem Liebhaberatelier an. Das Gegenteil eines Plagiats: Der Mann produzierte und präsentierte explizit Eigenes; erst recht das Gegenteil eines Diebstahls: Er nahm ja nichts fort, sondern fügte sogar etwas hinzu; nicht einmal für Betrug muss mans halten: Zumindest materiellen Nutzen zog er nicht daraus. Da mögen sich weniger verwegene Mitmenschen an ihre Jugend erinnert fühlen, als juvenile Talentproben in Kunstsaal, oder Treppenhaus, Aula oder Pausenraum ihrer Schulen aufgehängt wurden. Wer sich in der Kriminalgeschichte der Kunst auskennt, verweist lieber auf Koryphäen wie den arrivierten Maler Han van Meegeren aus den Niederlanden, der sich in den 1930er- und 1940er-Jahren die Manier Jan Vermeers derart täuschend anverwandelte, dass sich Adolf Hitlers „Reichsmarschall“ Hermann Göring gierig seine unter falscher Flagge segelnde Leinwand „Christus und die Ehebrecherin“ sicherte. Aus den USA wurde unlängst ein ähnlicher und doch besonderer Fall vermeldet: Dort verurteilte ein Gericht einen 61-Jährigen zu 52 Monate Haft; er hatte gestanden, gemeinsam mit seiner Frau nicht nur falsche Holzschnitte aus dem fünfzehnten bis zwanzigsten Jahrhundert verkauft zu haben, sondern desgleichen selbst hergestellte Druckstöcke vorgeblich für Grafiken aus der deutschen Reformationszeit, also die großen Holzstempel, von deren eingefärbter Oberfläche seiner Behauptung zufolge die Blätter abgezogen wurden. Schwunghaft vertrieb er via Internet Hunderte solcher Nachbildungen; in Wirklichkeit kommen authentische Druckstöcke kaum je in den Handel. Recht kleinkariert reagierte die Leitung der Pinakothek auf den vergleichsweise harmlosen Durchbruchversuch ihres Mitarbeiters: Nicht nur, dass sie ihn feuerte; obendrein zeigte sie ihn wegen Sachbeschädigung an – hatte er doch zur Befestigung seines Werks Löcher in die Wand gebohrt. Nun findet der Sonntagsmaler reichlich Zeit, sich weiter zu vervollkommnen. Nach einem Ausstellungsraum, dessen Rang und Ruf mit dem des berühmten Münchner Kunstareals mithält, wird er indes wohl eine Weile suchen müssen. ■

Alle früheren Kolumnen im Eckpunkte-Archiv.

Rückblick

25. April, Hof, Theater, Großes Haus
Für die Armen, Waisen und Entrechteten focht Zorro vor 105 Jahren zum ersten Mal. Seither hat sich die Meinung darüber, was einen Helden zum Superhelden macht, mehrfach gewandelt. Trotzdem inszenierte Tamás Mester ein Musical über den allzu gründlich aus der Zeit gefallenen Mantel-und-Degen-Kämpen. Unbeeinflusst von unfreiwilliger Komik überzeugt zumindest die Musik der vielbeklatschten Produktion.

18. April, Hof, Museum Bayerisches Vogtland
Bis Anfang des Monats erinnerte die Stadt mit einer Ausstellung an den verheerenden Brand, der das alte Hof am 4. September 1823 fast vollständig zerstörte. Dem Unheil und Leid von einst verdankt sich seither das Ensemble des Biedermeierviertels. Zur Schau erschien nun ein Begleitbuch, dessen Autorinnen das Thema vertiefen und erweitern. Den Hauptteil bildet eine Reihe wechselvoller „Häusergeschichten“.


Theater Hof

Schauspiel
zuletzt
Die Politiker
Der Menschenfeind
Dämon
Die bitteren Tränen der Petra von Kant


Musiktheater
zuletzt
1984
Anna Karenina
Sweeney Todd
Winterreise


Theater andernorts
zuletzt
Jelisaweta Bam im Vogtlandtheater
Der König stirbt in der Studiobühne
Siegfried, Götterdämmerung
in Bayreuth
Rheingold und Walküre
in Bayreuth


Konzert
zuletzt
Orgel in Hof, Pfeifen in Essen: Eine „Königin der Instrumente“, gesampelt
Französischer Abend:
Die Symphoniker mit Bizets kaum bekannter „Rom“-Symphonie
Heimspiel im „Wohnzimmer“:
Die „Brassmatiker“ triumphieren in Hof
Ein spiritueller Abend:
Bruckner, Messiaen und Takemitsu bei den Symphonikern



Film und Fernsehen
zuletzt
Anatomie eines Falls
The Zone of Interest
Dune: Part two
Eine Million Minuten


Kleinkunst, Kabarett, Comedy
zuletzt
Olaf Schubert bewertet die Schöpfung
Philipp Scharrenberg verwirrt Bad Steben
Birgit Süß:
Das Graue vom Himmel
Definitiv vielleicht:
Günter Grünwald in Hof


Anderes
zuletzt
Aus dem Leben alter Häuser: Begleitbuch zur Hofer Stadtbrand-Ausstellung
Kaiser Heinrich II.: Bamberg erinnert an den Begründer des Bistums und Doms
Humanistisch bleiben: Eine Performance wirbt für Menschlichkeit im Gaza-Krieg
ORGAN2/ASLSP:
Kleine Änderung beim längsten Musikstück der Welt


Essay  
zuletzt
Schwebende Verfahren
Zum 100. Todestag Franz Kafkas
Ein Quantum Brecht muss bleiben
Zum 125. Geburtstag des Stückeschreibers
Symphonien des Grauens
125 Jahre „Dracula“ von Bram Stoker

Man muss ihn nicht mögen
Napoleon zum 200. Todestag


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Die Bücher
Erhältlich über den Buchhandel und online

KAISERS BART - (2022) Dreizehn Essays von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 344 Seiten, gebunden 25, als Paperback 18, als E-Book 9,99 Euro.
Auch Kaisers Bart kommt vor in diesem Buch, zum Beispiel der des mittelalterlichen Staufers Barbarossa. Wenn wir uns indes heute „um des Kaisers Bart streiten“, dann geraten wir nicht wegen einer royalen Haupt- und Staatsaktion, sondern um einer Bagatelle willen aneinander. Dem Gewicht nach irgendwo dazwischen halten sich die Themen der dreizehn Essays auf, die alle dem weiten Feld der Kulturgeschichte entsprossen sind. Umfassend recherchiert und elegant formuliert, erzählen sie über Bücher und Bärte, Genies und Scheusale, über selbstbestimmte Frauen, wegweisende Männer und Narren in mancherlei Gestalt, über Stern- wie Schmerzensstunden der Wort- und Tonkunst. Worüber berichtet wird, scheint teils schon reichlich lang vergangen – „sooo einen Bart“ hat aber nichts davon.



VERPESTETE BÜCHER - (2021) Elf literarische Epidemien und ein Epilog. Von Michael Thumser. Mit Buchschmuck von Stephan Klenner-Otto. Verlag Tredition, Hamburg, 172 Seiten, gebunden 16,99, als Paperback 8,99, als E-Book 2,99 Euro.
Dieses Buch ist nicht das Buch zur Krise. Freilich ist es ein Buch zur Zeit. Es will einem traditionsreichen, aber noch unbenannten Genre der Weltliteratur einen passenden Namen geben: dem Seuchenbuch. Erstmals erschienen die literaturkundlichen Essays während der Corona-Pandemie auf dieser Website. Vermehrt um ein Kapitel über Mary Shelleys Roman „Der letzte Mensch“, wurden sie sämtlich überarbeit. Den ausgewählten Werken der deutschsprachigen und internationalen Erzählkunst ist gemeinsam, dass in ihnen Epi- und Pandemien eine Hauptrolle spielen. So belegen die Werkporträts, dass die Furcht vor Seuchen und die Hilflosigkeit gegen ihr raumgreifendes Wüten die Geschichte der Menschheit als Konstanten durchziehen. Die Beispielhaftigkeit der vorgestellten Seuchenbücher verleiht ihnen über ihre Epochen hinaus Wirkung und Gewicht.

 

WIR SIND WIE STUNDEN - (2020) Neunzehn Essays von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 340 Seiten, gebunden 21,99, als Paperback 12,99, als E-Book 2,99 Euro.
Mehr oder weniger handeln alle hier versammelten Texte von Zeit und Geschichte, Fortschritt und Vergänglichkeit, von Werten und Werden, Sein und Bleiben, von Wandel und Vanitas. Zwischen 2010 und 2020 entstanden, wollen sie als Essays gelesen werden, folglich weniger als Beiträge zu den Fachwissenschaften, mit denen sie sich berühren, denn als schriftstellerische Versuche. Formal handelt es sich um sprachschöpferische Arbeiten eines klassischen Feuilletonisten, inhaltlich um Produkte von Zusammenschau, Kompilation und Kombination, wobei der Verfasser Ergebnisse eingehender Recherchen mit eigenen Einsichten und Hypothesen verwob, um Grundsätzliches mitzuteilen und nachvollziehbar darüber nachzudenken.


DER HUNGERTURM - (2011/2020) Dreizehn Erzählungen von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 288 Seiten, gebunden 19,99, als Paperback 10,99, als E-Book 2,99 Euro.
Von Paaren handeln etliche der dreizehn Geschichten in diesem Band: von solchen, die auseinandergehen, von anderen, die „trotz allem“ beieinanderbleiben, von wieder anderen, die gar nicht erst zusammenfinden. Dass die Liebe auch bitter schmecken kann, ahnen oder erfahren sie. Sich selbst und der Welt abhanden zu kommen, müssen manche der Figuren fürchten, den Kontakt zu verlieren, allein zu sein oder zu bleiben und nichts anfangen zu können, nur mit sich. Manche haben ihren Platz ziemlich weit fort von den anderen, zum Beispiel hoch über ihnen wie der namenlose Protagonist der Titelerzählung "Der Hungerturm". Irgendwann freilich werden sie aufgestört von der halb heimlichen Sehnsucht, mit jemandem zu zweit zu sein. Bei anderen genügt ein unerwarteter Zwischenfall, dass der Boden unter ihren Füßen ins Schwanken gerät und brüchig wird. Und es gibt auch welche, denen die Wirklichkeit in die Quere kommt, weil sie ein Bild von sich und Ziele haben, die nicht recht zu ihnen passen. Knapp und zielstrebig, bisweilen in filmartig geschnittenen Szenen und Dialogen berichten die zeitlosen Erzählungen davon, wie aus Unspektakulärem etwas Liebes- und Lebensbestimmendes, mitunter Tödliches erwächst.