22. März 2025 In unserem Alltagsverständnis von Recht und Gerechtigkeit machen wir uns kaum je klar, dass manche Regeln des Zusammenlebens auf Gesetze zurückgehen, die vor Jahrtausenden entstanden. Begreiflich, dass die Gefahr, sie misszuverstehen, durch die immense zeitliche Entfernung beträchtlich wachsen kann. Leicht erkennen wir dies an der Redensart „Auge um Auge, Zahn um Zahn“: Die Rachsüchtigen unter uns fügen die - unter anderem in der hebräischen Bibel zu lesende - Formulierung fest in ihre Vergeltungsrhetorik ein, um anzukündigen, für jede ihnen zugefügte Schmach, jeden Schaden Revanche zu üben, alles Schlechte „mit gleicher Münze heimzuzahlen“. Auch diese Formulierung, wie der zu Tode zitierte Appell aus dem zweiten Buch Mose, empfiehlt allerdings ausdrücklich das Gegenteil: nämlich Böses eben nicht mit womöglich noch Böserem zu ahnden, sondern bei der Wiedergutmachung mit Augenmaß auf Angemessenheit zu achten. Für ein heilbares Brandmal sollten wir also nicht willkürlich einen unwiederbringlichen Fuß, für einen Striemen nicht gleich ein Leben fordern. Die Verhältnismäßigkeit zwischen Straftat und Sühne beschäftigte die Rechtsgelehrten aller Zeiten. Ebenso wurzeln viele Schutzvorschriften, die wir für Früchte einer aufgeklärten, wenn nicht neuzeitlichen Jurisdiktion halten, in Normsetzungen, die bereits an den Anfängen der dokumentierten Geschichte die Gesellschaften zu ordnen halfen. Fast wie ein Grundgesetz der friedlichen Koexistenz klingen die letzten sieben der biblischen „Zehn Gebote“, indem sie Mord und Ehebruch, Lug und Trug, Diebstahl und Gier anklagen und die Versorgung der Alten und Schwachen verlangen. Schon im noch älteren, weil fast viertausendjährigen „Codex Hammurapi“ aus Babylon, einem der ältesten erhaltenen Gesetzestexte überhaupt, findet sich das Recht auf Privateigentum. Stark inspirierend wirkte das antike Römische Recht nach: etwa, was die Unschuldsvermutung bei der Strafverfolgung betrifft oder das Prinzip, dass niemand zwei Mal für dieselbe Tat („ne bis in idem“) belangt werden darf. Dieser Tage stieß der – in Sachen Weltgeschichte weitgehend unbelehrte – US-Präsident auf ein gleichfalls angestaubtes, wenngleich nicht ganz so altes Dokument, das ihm sein zweifelhaftes Regieren erleichtern soll: Mit dem Alien Enemies Act von 1798 im Rücken will Donald Trump fünf Venezolaner ohne Einschaltung eines Gerichts als Terroristen außer Landes schaffen; indes verweisen Bürgerrechtler darauf, die 227 Jahre alte Bestimmung dürfe nur gegen Angehörige von Ländern angewendet werden, mit denen die Vereinigten Staaten im Krieg lägen. So beklemmend die Affäre ist, so erinnert sie doch an eine witzige Anekdote aus dem britischen Akademiebetrieb des mittleren zwanzigsten Jahrhunderts (wobei es keine Rolle spielt, ob sie vielleicht nur gut erfunden ist). Eine Gruppe findiger Studenten, heißt es, grub eine nie widerrufene Verordnung von vor vierhundert Jahren aus und las auf den brüchigen Blättern hocherfreut, jedem Hörer stünden täglich zwei Gläser Ale auf Hochschulkosten zu. Postwendend forderten sie das Freibier ein. Nach einigem Besinnen beugte sich die Universitätsleitung dem Ersuchen, erhob aber gleichzeitig von jedem der jungen Männer eine Strafgebühr: Ihnen war entgangen, dass eine Weisung aus dem achtzehnten Jahrhundert von den Scholaren verlangte, nie ohne umgeschnallten Degen ins Freie zu treten. ■
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Rückblick
26. April, Selb, Spektrum
Totgesagte leben länger. Das Selber Kino stand kurz vor der Schließung, da leuchtete es 2023 als „Spektrum“ piekfein wieder auf. Und die Grenzland-Filmtage, jahrelang schwächelnd, konnten dort endlich frischen Atem schöpfen. Gleichwohl begann das 48. Festival mit zwei Geschichten über Sterben und Tod - nicht freilich mit tieftraurigen Tragödien, sondern anrührend und menschlich im Ton, humorvoll und lebendig.
8. April, Theater Hof, Großes Haus
Boulevardtheater ist stets ein Wagnis: Missrät es, wie nur allzu oft, zur platten Plotte? Oder wird spritzig ein Baumeln über dem Abgrund der Alltagskatastrophen daraus? Komödie vom Feinsten? Oder nur Klamauk statt Witz? In Alle meine Männer, einer Farce der Briten Ray Cooney und Michael Barfoot, lässt - unter Ralf Hockes choreografischer Regie - ein siebenköpfiges Ensemble vier Türen gehörig knallen.
Theater Hof
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Wutschweiger
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Die Befristeten auf Bayreuths Studiobühne
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The Rake’s Progress in Plauen
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Drei Briten in Hof - und dabei eine deutsche Erstaufführung bei den Symphonikern
Trost am Ende der Zeit: Brahms’ Klarinetten-Trio und Messiaens Quartett
Fast ein Damenabend: Musik von Germaine Tailleferre und eine Harfenistin in Selb
Unverhofft kommt oft: In Hof beginnt der Frühling vor der Zeit
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48. Grenzland-Filmtage Selb/Aš
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September 5
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