Hochfranken-Feuilleton
 Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur nicht die langweilige.  (Voltaire)
Aktuell

29. April, Hof, Theater, Studio
„Ballet Blanc“, weißes Ballett also - aber der Spielraum ist finster, der Boden schwarz? Nur scheinbar ein Widerspruch. Denn beides fügt sich vortrefflich ineinander bei den neun Choreografien, die fünf junge Tänzerinnen und vier Tänzer der Compagnie zu einem überraschungsreichen Kammertanzabend vereinen. Beeindruckend breitet sich das Ausdrucksspektrum aus, und mit ungeschauten Aktionen erweitert die Truppe zeitgemäß ihr Bewegungsrepertoire.



Eckpunkt

Glas um Glas

Von Curiander

22. März 2025  In unserem Alltagsverständnis von Recht und Gerechtigkeit machen wir uns kaum je klar, dass manche Regeln des Zusammenlebens auf Gesetze zurückgehen, die vor Jahrtausenden entstanden. Begreiflich, dass die Gefahr, sie misszuverstehen, durch die immense zeitliche Entfernung beträchtlich wachsen kann. Leicht erkennen wir dies an der Redensart „Auge um Auge, Zahn um Zahn“: Die Rachsüchtigen unter uns fügen die - unter anderem in der hebräischen Bibel zu lesende - Formulierung fest in ihre Vergeltungsrhetorik ein, um anzukündigen, für jede ihnen zugefügte Schmach, jeden Schaden Revanche zu üben, alles Schlechte „mit gleicher Münze heimzuzahlen“. Auch diese Formulierung, wie der zu Tode zitierte Appell aus dem zweiten Buch Mose, empfiehlt allerdings ausdrücklich das Gegenteil: nämlich Böses eben nicht mit womöglich noch Böserem zu ahnden, sondern bei der Wiedergutmachung mit Augenmaß auf Angemessenheit zu achten. Für ein heilbares Brandmal sollten wir also nicht willkürlich einen unwiederbringlichen Fuß, für einen Striemen nicht gleich ein Leben fordern. Die Verhältnismäßigkeit zwischen Straftat und Sühne beschäftigte die Rechtsgelehrten aller Zeiten. Ebenso wurzeln viele Schutzvorschriften, die wir für Früchte einer aufgeklärten, wenn nicht neuzeitlichen Jurisdiktion halten, in Normsetzungen, die bereits an den Anfängen der dokumentierten Geschichte die Gesellschaften zu ordnen halfen. Fast wie ein Grundgesetz der friedlichen Koexistenz klingen die letzten sieben der biblischen „Zehn Gebote“, indem sie Mord und Ehebruch, Lug und Trug, Diebstahl und Gier anklagen und die Versorgung der Alten und Schwachen verlangen. Schon im noch älteren, weil fast viertausendjährigen „Codex Hammurapi“ aus Babylon, einem der ältesten erhaltenen Gesetzestexte überhaupt, findet sich das Recht auf Privateigentum. Stark inspirierend wirkte das antike Römische Recht nach: etwa, was die Unschuldsvermutung bei der Strafverfolgung betrifft oder das Prinzip, dass niemand zwei Mal für dieselbe Tat („ne bis in idem“) belangt werden darf. Dieser Tage stieß der – in Sachen Weltgeschichte weitgehend unbelehrte – US-Präsident auf ein gleichfalls angestaubtes, wenngleich nicht ganz so altes Dokument, das ihm sein zweifelhaftes Regieren erleichtern soll: Mit dem Alien Enemies Act von 1798 im Rücken will Donald Trump fünf Venezolaner ohne Einschaltung eines Gerichts als Terroristen außer Landes schaffen; indes verweisen Bürgerrechtler darauf, die 227 Jahre alte Bestimmung dürfe nur gegen Angehörige von Ländern angewendet werden, mit denen die Vereinigten Staaten im Krieg lägen. So beklemmend die Affäre ist, so erinnert sie doch an eine witzige Anekdote aus dem britischen Akademiebetrieb des mittleren zwanzigsten Jahrhunderts (wobei es keine Rolle spielt, ob sie vielleicht nur gut erfunden ist). Eine Gruppe findiger Studenten, heißt es, grub eine nie widerrufene Verordnung von vor vierhundert Jahren aus und las auf den brüchigen Blättern hocherfreut, jedem Hörer stünden täglich zwei Gläser Ale auf Hochschulkosten zu. Postwendend forderten sie das Freibier ein. Nach einigem Besinnen beugte sich die Universitätsleitung dem Ersuchen, erhob aber gleichzeitig von jedem der jungen Männer eine Strafgebühr: Ihnen war entgangen, dass eine Weisung aus dem achtzehnten Jahrhundert von den Scholaren verlangte, nie ohne umgeschnallten Degen ins Freie zu treten. ■

Alle früheren Kolumnen im Eckpunkte-Archiv.

Rückblick

26. April, Selb, Spektrum
Totgesagte leben länger. Das Selber Kino  stand kurz vor der Schließung, da leuchtete es 2023 als „Spektrum“ piekfein wieder auf. Und die Grenzland-Filmtage, jahrelang schwächelnd, konnten dort endlich frischen Atem schöpfen. Gleichwohl begann das 48. Festival mit zwei Geschichten über Sterben und Tod - nicht freilich mit tieftraurigen Tragödien, sondern anrührend und menschlich im Ton, humorvoll und lebendig.

8. April, Theater Hof, Großes Haus
Boulevardtheater ist stets ein Wagnis: Missrät es, wie nur allzu oft, zur platten Plotte? Oder wird spritzig ein Baumeln über dem Abgrund der Alltagskatastrophen daraus? Komödie vom Feinsten? Oder nur Klamauk statt Witz? In Alle meine Männer, einer Farce der Briten Ray Cooney und Michael Barfoot, lässt - unter Ralf Hockes choreografischer Regie - ein siebenköpfiges Ensemble vier Türen gehörig knallen.



Theater Hof

Schauspiel
zuletzt
Alle meine Männer
Don Karlos
Wutschweiger
Gespenster


Musiktheater
zuletzt
Ballet Blanc
Titanic
Die Geschöpfe des Prometheus
Hedwig and the Angry Inch


Theater andernorts
zuletzt
Salome im Vogtlandtheater
Die Befristeten
auf Bayreuths Studiobühne
Tristan und Isolde
auf dem Grünen Hügel
The Rake’s Progress
in Plauen


Konzert
zuletzt
Drei Briten in Hof - und dabei eine deutsche Erstaufführung bei den Symphonikern
Trost am Ende der Zeit: Brahms’ Klarinetten-Trio und Messiaens Quartett
Fast ein Damenabend: Musik von Germaine Tailleferre und eine Harfenistin in Selb
Unverhofft kommt oft:
In Hof beginnt der Frühling vor der Zeit



Film und Fernsehen
zuletzt
48. Grenzland-Filmtage Selb/Aš
Maria
Nosferatu
September 5


Kleinkunst, Kabarett, Comedy
zuletzt
TBC macht lauter gute Vorschläge
Olaf Schubert bewertet die Schöpfung
Philipp Scharrenberg verwirrt Bad Steben
Birgit Süß:
Das Graue vom Himmel


Anderes
zuletzt
Die Kunst der Bauchlandung: Das neue Buch des Hofers Roland Spranger
Bücher & Musik: Von Sonne, Mond und Sternen in den „Geschichtsraum“ Bayern
Aus dem Nachlass: Unbekannte frühe Erzählungen von Siegfried Lenz
Gottesanbieterin: Die Lyrikerin Nora Gomringer und ihre Kontake zum Jenseits


Essay  
zuletzt
Das Findelkind Europas: Kaspar Hauser war nachweislich kein Fürstenspross
Das Kleinmaleins des Lebens

Erich Kästner, doppelt und dreifach
Schwebende Verfahren
Zum 100. Todestag Franz Kafkas
Ein Quantum Brecht muss bleiben
Zum 125. Geburtstag des Stückeschreibers


_____________________________________


Die Bücher
Erhältlich über den Buchhandel und online

KAISERS BART - (2022) Dreizehn Essays von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 344 Seiten, gebunden 25, als Paperback 18, als E-Book 9,99 Euro.
Auch Kaisers Bart kommt vor in diesem Buch, zum Beispiel der des mittelalterlichen Staufers Barbarossa. Wenn wir uns indes heute „um des Kaisers Bart streiten“, dann geraten wir nicht wegen einer royalen Haupt- und Staatsaktion, sondern um einer Bagatelle willen aneinander. Dem Gewicht nach irgendwo dazwischen halten sich die Themen der dreizehn Essays auf, die alle dem weiten Feld der Kulturgeschichte entsprossen sind. Umfassend recherchiert und elegant formuliert, erzählen sie über Bücher und Bärte, Genies und Scheusale, über selbstbestimmte Frauen, wegweisende Männer und Narren in mancherlei Gestalt, über Stern- wie Schmerzensstunden der Wort- und Tonkunst. Worüber berichtet wird, scheint teils schon reichlich lang vergangen – „sooo einen Bart“ hat aber nichts davon.



VERPESTETE BÜCHER - (2021) Elf literarische Epidemien und ein Epilog. Von Michael Thumser. Mit Buchschmuck von Stephan Klenner-Otto. Verlag Tredition, Hamburg, 172 Seiten, gebunden 16,99, als Paperback 8,99, als E-Book 2,99 Euro.
Dieses Buch ist nicht das Buch zur Krise. Freilich ist es ein Buch zur Zeit. Es will einem traditionsreichen, aber noch unbenannten Genre der Weltliteratur einen passenden Namen geben: dem Seuchenbuch. Erstmals erschienen die literaturkundlichen Essays während der Corona-Pandemie auf dieser Website. Vermehrt um ein Kapitel über Mary Shelleys Roman „Der letzte Mensch“, wurden sie sämtlich überarbeitet. Den ausgewählten Werken der deutschsprachigen und internationalen Erzählkunst ist gemeinsam, dass in ihnen Epi- und Pandemien eine Hauptrolle spielen. So belegen die Werkporträts, dass die Furcht vor Seuchen und die Hilflosigkeit gegen deren raumgreifendes Wüten die Geschichte der Menschheit als Konstanten durchziehen. Die Beispielhaftigkeit der vorgestellten Seuchenbücher verleiht ihnen über ihre Epochen hinaus Wirkung und Gewicht.

 

WIR SIND WIE STUNDEN - (2020) Neunzehn Essays von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 340 Seiten, gebunden 21,99, als Paperback 12,99, als E-Book 2,99 Euro.
Mehr oder weniger handeln alle hier versammelten Texte von Zeit und Geschichte, Fortschritt und Vergänglichkeit, von Werten und Werden, Sein und Bleiben, von Wandel und Vanitas. Zwischen 2010 und 2020 entstanden, wollen sie als Essays gelesen werden, folglich weniger als Beiträge zu den Fachwissenschaften, mit denen sie sich berühren, denn als schriftstellerische Versuche. Formal handelt es sich um sprachschöpferische Arbeiten eines klassischen Feuilletonisten, inhaltlich um Produkte von Zusammenschau, Kompilation und Kombination, wobei der Verfasser Ergebnisse eingehender Recherchen mit eigenen Einsichten und Hypothesen verwob, um Grundsätzliches mitzuteilen und nachvollziehbar darüber nachzudenken.


DER HUNGERTURM - (2011/2020) Dreizehn Erzählungen von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 288 Seiten, gebunden 19,99, als Paperback 10,99, als E-Book 2,99 Euro.
Von Paaren handeln etliche der dreizehn Geschichten in diesem Band: von solchen, die auseinandergehen, von anderen, die „trotz allem“ beieinanderbleiben, von wieder anderen, die gar nicht erst zusammenfinden. Dass die Liebe auch bitter schmecken kann, ahnen oder erfahren sie. Sich selbst und der Welt abhanden zu kommen, müssen manche der Figuren fürchten, den Kontakt zu verlieren, allein zu sein oder zu bleiben und nichts anfangen zu können, nur mit sich. Manche haben ihren Platz ziemlich weit fort von den anderen, zum Beispiel hoch über ihnen wie der namenlose Protagonist der Titelerzählung "Der Hungerturm". Irgendwann freilich werden sie aufgestört von der halb heimlichen Sehnsucht, mit jemandem zu zweit zu sein. Bei anderen genügt ein unerwarteter Zwischenfall, dass der Boden unter ihren Füßen ins Schwanken gerät und brüchig wird. Und es gibt auch welche, denen die Wirklichkeit in die Quere kommt, weil sie ein Bild von sich und Ziele haben, die nicht recht zu ihnen passen. Knapp und zielstrebig, bisweilen in filmartig geschnittenen Szenen und Dialogen berichten die zeitlosen Erzählungen davon, wie aus Unspektakulärem etwas Liebes- und Lebensbestimmendes, mitunter Tödliches erwächst.