7. März 2025 So ein Teppich ist ein Inbild der Geduld. Ob bunter Perser oder monotone Auslegeware – man tritt ihn Tag für Tag mit Füßen, und doch erfüllt er langmütig seine Pflicht, einem das Leben weich abzupolstern. Freilich gibt es auch eitle Spielarten: Als Tapisserien entziehen sie sich dem Zutritt und -griff, um wie Gemälde an der Wand kunstvolle Abbilder der Welt vorzuführen. Das größte Exemplar, aus dem vierzehnten Jahrhundert, setzt im französischen Anger auf über hundert Metern die Visionen des biblischen Apokalyptikers Johannes in Szene. Mit nicht ganz so kolossalem Ausmaß bescheidet sich der allerdings noch berühmtere „Teppich von Bayeux“: In 58 filigranen, mit farbigem Wollgarn auf Leinen gestickten Szenen illustriert er auf (heute) 68 Metern, wie sich der Normannenfürst Wilhelm der Eroberer 1066 in der Schlacht bei Hastings das bis dato angelsächsische England unterwarf. Nur wenige Jahre nach dem Ereignis entstanden, nimmt das imposante Bilderband mit vielen - inzwischen ikonischen - Darstellungen unter den Kunstwerken des europäischen Mittelalters einen der höchsten Ränge ein; obendrein wird es, von der Unesco als Welterbe-Dokument geadelt, von Historikern als geschichtliche Quelle gelesen. Textil als Text – zum Beispiel die Frage betreffend, wo denn Herzog Wilhelms unterlegener Widersacher, der englische Landesverteidiger Harold II. Godwinson, residiert habe. Da gibt der Teppich überzeugende Hinweise und verrät: in Bosham. Weil dort wie überall vor tausend Jahren zumeist mit Holz gebaut wurde, haben sich gemeinhin auch von prächtigen Architekturen bestenfalls unscheinbare Rückstände erhalten. Auf dem Teppich erscheint Harolds Palast in Gestalt eines schmucken, von eleganter Festgemeinschaft bevölkerten Pavillons, und zwar ungewöhnlicherweise zwei Mal, was auf die Wichtigkeit jener südenglischen Hafensiedlung schließen lässt. Davon ausgehend, trug die spürsinnige Detektivarbeit von Experten der Universitäten Newcastle und Exeter unlängst weitere Früchte. Denn darüber, wo genau sich der Regierungssitz erhoben habe, konnte bislang nur spekuliert werden. Nun aber förderten Archäologen am vermuteten, vom Teppich genannten Ort, und zwar unter und bei einem Privathaus der kleinen Gemeinde, in ausgegrabenen Holzresten die Überbleibsel einer Toilette aus der Eroberungszeit zutage. Für die Wissenschaftler steht fest, dass solcher Luxus ausschließlich in Gebäuden der obersten Gesellschaftsschicht infrage kam. Für die Grabungsleiter belegt das „angelsächsische Badezimmer“ jenseits allen Zweifels, „dass sich hier die private Machtzentrale Harold Godwinsons befand“. Unter Mediävisten gilt die Entdeckung als Sensation. Doch mischt sich der Geschichten erzählende Teppich sogar in die Politik der Gegenwart ein. Denn an unerwartetem Ort, in Deutschland nämlich, tauchte dieser Tage ein – wenig spektakuläres – Stückchen seines Leinenstoffs auf, das auf fatale Weise ins Schleswiger Landesarchiv gelangt war. Während des Zweiten Weltkriegs hat es der Textilarchäologe Karl Schlabow abgeschnitten und mitgenommen, als er im Auftrag des SS-Unternehmens „Deutsches Ahnenerbe“ das Kunstwerk vermaß. Noch heuer sollen, wie es heißt, die Fasern, zwischen zwei postkartengroßen Glasplatten gesichert, zurückerstattet werden. Immer mal wieder machen sich selbst sehr alte Artefakte dem öffentlichen Bewusstsein bemerkbar, man muss nur ein bisschen Geduld haben. ■
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Rückblick
11. März, Plauen, Vogtlandtheater
Den Rang des obsessivsten und obszönsten Werks auf dem Musiktheater macht der Salome von Richard Strauss schwerlich eine andere Oper streitig. Auch in Horst Kupichs Inszenierung erzählt der Einakter eine heilige Geschichte aus der Bibel als Kapitel aus der Geschichte des Unheils, mit mutigen - und ein paar entbehrlichen - Eingriffen ins Original und der verhängnisvoll glühenden Małgorzata Pawłowska in der Titelrolle.
1. März, Kino
Nach „Jackie: Die First Lady“ und „Spencer“ (um Prinzessin Diana) hat Regisseur Pablo Larraín seine Trilogie über tragische Frauengestalten der Hochprominenz nun mit Maria abgeschlossen. Der Chilene und die sensationell einfühlsame Angelina Jolie in der Rolle der Maria Callas erzählen von einer Göttin der ganz großen Oper, die sich zum Verstummen und also zum Verschwinden verurteilt sieht.
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