Hochfranken-Feuilleton
 Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur nicht die langweilige.  (Voltaire)
Aktuell

1. Juli, Hof, Museum Bayerisches Vogtland
Sobald Heiliges auf eine Bühne kommt, wittern Fundamentalisten Blasphemie. Warum sollte es bei Nipplejesus anders sein? Wer indes das Vergnügen nicht scheut, sich das Stück (nach einer Geschichte von Nick Hornby) anzusehen, begreift: Es geht darin bedenkenswert und amüsant um den Umgang mit Kunst und die Manipulation durch sie. In dem Monolog brilliert Peter Kampschulte als Museumswärter, der sich nicht scheut, aus Erfahrung klug zu werden.




Eckpunkt

Mehr als tausend Worte

Von Curiander

31. Mai 2025  So wie wir spitzen in aller Herren Ländern die Verächter des amtierenden US-Präsidenten, also gefühlt die überwiegende Mehrheit der Menschheit, resignierend die Ohren: Müsste Donald Trump nicht auf lärmenden Widerstand stoßen, wenn er auf die Seite eines kriegslüsternen Autokraten überläuft, hochrangige Gäste im Angesicht der globalen Öffentlichkeit zusammenstaucht, von zwielichtigen Regierungen Luxus-Jumbojets als Geschenk dankend annimmt, Demokratie und Bürgerrechte stranguliert, Fabeleien wie Glaubensdogmen verkündet, globale Handelsnetze in Fetzen reißt …? Ein chauvinistischer Narzisst mit fragwürdigen zerebralen und kordialen Anlagen düpiert die Welt – und die Massen verharren bang, hüllen sich, als wollte niemand zum nächsten Opfer werden, in Schweigen. Bloß ein paar Einzelne erheben die Stimmen, womit sie dann unser Interesse umso mehr auf sich ziehen: so die Bischöfin Mariann Edgar Budde, als sie im Januar gegen den (anwesenden) Präsidenten anpredigte und – gewiss gefasst auf ungehobelte Entgegnungen – um „Erbarmen“ mit Einwanderern, LGBTQIA+-Menschen und all den anderen bat, „die jetzt Angst haben“. So viel Mut bringen die wenigsten auf. Und erst recht nicht so viel Zeit wie Cory Booker, ein US-Politiker, der verdient hätte, dass eine Auszeichnung – nennen wir sie den booker prize – fortan seinen Namen trägt. Am 1. April setzte er neue Maßstäbe für die Disziplin des filibusters, für jenes Genre der Zeit schindenden Ansprache, die Beschlüsse des Plenums verzögern oder unterbinden soll. 25 Stunden und fünf Minuten lang argumentierte Booker pausenlos gegen die kruden Pläne und wirren Beschlüsse Trumps. Vorgestern nun teilte Spiegel Online mit, er und der Verlag St. Martin‘s Press wollten den Text der Philippika im November als Buch herausbringen. Sollte dabei auf Kürzungen verzichtet werden, steht uns Lesestoff auf siebenhundert oder mehr Seiten bevor: ausführliche Lektionen über „die Tugenden, die für unseren Erfolg als Nation unerlässlich sind“, so Booker, und über das, „was wir von Generationen von Amerikanern lernen können, die für sie gekämpft haben“. Indes, nimmt dann auch Trump den Band zur Hand? Das dürfen wir bezweifeln, gestand er doch zu Beginn der ersten Amtszeit, es überkomme ihn, schon wenn er ein Buch nur sehe, ein unüberwindliches Schlafbedürfnis. Wach bleiben ist allerdings für den, der sich für das Kampfmittel des filibusters entscheidet, das Mindeste, über eine eiserne Kondition sollte er verfügen, um die Geduld seiner Zuhörerinnen und Zuhörer gehörig zu zermürben. Bereits im antiken Rom sollen Politiker die kraftraubende Methode angewendet haben; als notorisch zäher Rhetor blieb Marcus Porcius Cato – „der Jüngere“ – bis heute namhaft. Deutscher Rekordhalter ist seit Kaisers Zeiten Otto Antrick: Im Reichstag harrte er acht Stunden auf der Tribüne belehrend, mahnend, warnend aus, um ein ihm missliebiges Zollgesetz hinauszuschieben. Erfunden hat US-Senator Booker – der zuvor, um nicht einmal für eine Toilettenpause das Pult verlassen zu müssen, eine Woche hindurch gefastet haben soll – die Endlos-Eloquenz also wahrlich nicht. Immerhin stellte er eine Bestmarke aus dem Jahr 1957 ein, als die bis dato längste Rede 47 Minuten kürzer als seine gewährt hatte. Späteren Sprachgewalttätern gingen schon nach vierzehn und fünfzehn Stunden Stoff und Puste aus. Darin offenbart sich das Risiko, das jede Spielart der Ermüdungstaktik birgt: Irgendwann führt sie dazu, dass ihr auch der erliegt, der sich ihrer bedient. ■

Alle bisherigen Kolumnen in den
Eckpunkt-Archiven (siehe oben im Menü)

Rückblick

28. Juni, Selb, Rosenthal-Theater
„Ich bin Bachianer“: Mit diesem Bekenntnis überwand Johannes Brahms in drei knappen Worten das reichliche Jahrhundert zwischen dem Tod seines Idols Johann Sebastian Bach und den eigenen kompositorischen Anfängen während der 1850er-Jahre. Wie eng der Kontakt zwischen den beiden Musikgiganten - und der zwischen den Hofer Symphonikern und ihrem Chefdrigenten Martijn Dendievel - ist, das erwies eindrucksvoll das Konzert zum Abschluss der Selber Spielzeit.

26. Juni, Hof, Freiheitshalle, Festsaal
Im ausverkauften Haus ein stehend und lautstark applaudierendes Publikum: Das erste Gastspiel des Bayerischen Ärzteorchesters - mit den Hofer Medizinern Dominik Scheruhn und Hans Ulrich Kerl in seinen Reihen - geriet zum Triumph. Mit den bunten Spielereien eines leichten Sommerprogramms wollten sich die Damen und Herren nicht abgeben: Von Olivier Tardy geleitet, glänzten sie beim Benefizkonzert mit drei gewichtigen Werken der Romantik.




Theater Hof

Schauspiel
zuletzt
Nipplejesus
Das Leben ein Traum
Handbuch gegen den Krieg
Alle meine Männer


Musiktheater
zuletzt
Die Perlenfischer
The Brothers/Der Jüngste Tag ist jetzt
Ballet Blanc
Titanic


Theater andernorts
zuletzt
Salome im Vogtlandtheater
Die Befristeten
auf Bayreuths Studiobühne
Tristan und Isolde
auf dem Grünen Hügel
The Rake’s Progress
in Plauen


Konzert
zuletzt
Auf kurze Distanz: Werke von Bach und Brahms im Selber Rosenthal-Theater
Ärzteorchester: „Leistungsorientierte Amateure“ mit gewichtiger Romantik
Sommerreigen:
Wolfgang Emanuel Schmidt als Cello-Virtuose und Dirigent
Sonnengesang: Kammermusik in der Stammbacher Marienkirche



Film und Fernsehen
zuletzt
Mission Impossible - The Final Reckoning
48. Grenzland-Filmtage Selb/Aš
Maria
Nosferatu


Kleinkunst, Kabarett, Comedy
zuletzt
TBC macht lauter gute Vorschläge
Olaf Schubert bewertet die Schöpfung
Philipp Scharrenberg verwirrt Bad Steben
Birgit Süß
erzählt das Graue vom Himmel


Anderes
zuletzt
Die Kunst der Bauchlandung: Das neue Buch des Hofers Roland Spranger
Bücher & Musik: Von Sonne, Mond und Sternen in den „Geschichtsraum“ Bayern
Aus dem Nachlass: Unbekannte frühe Erzählungen von Siegfried Lenz
Gottesanbieterin: Die Lyrikerin Nora Gomringer und ihre Kontake zum Jenseits


Essay  
zuletzt
... und zum Flor des Landes: Zwischen 1806 und 1918 - Bayerns fünf bis sechs Könige
Das Findelkind Europas:
Kaspar Hauser war nachweislich kein Fürstenspross
Das Kleinmaleins des Lebens

Erich Kästner, doppelt und dreifach
Schwebende Verfahren
Zum 100. Todestag Franz Kafkas

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Die Bücher
Erhältlich über den Buchhandel und online

KAISERS BART - (2022) Dreizehn Essays von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 344 Seiten, gebunden 25, als Paperback 18, als E-Book 9,99 Euro.
Auch Kaisers Bart kommt vor in diesem Buch, zum Beispiel der des mittelalterlichen Staufers Barbarossa. Wenn wir uns indes heute „um des Kaisers Bart streiten“, dann geraten wir nicht wegen einer royalen Haupt- und Staatsaktion, sondern um einer Bagatelle willen aneinander. Dem Gewicht nach irgendwo dazwischen halten sich die Themen der dreizehn Essays auf, die alle dem weiten Feld der Kulturgeschichte entsprossen sind. Umfassend recherchiert und elegant formuliert, erzählen sie über Bücher und Bärte, Genies und Scheusale, über selbstbestimmte Frauen, wegweisende Männer und Narren in mancherlei Gestalt, über Stern- wie Schmerzensstunden der Wort- und Tonkunst. Worüber berichtet wird, scheint teils schon reichlich lang vergangen – „sooo einen Bart“ hat aber nichts davon.



VERPESTETE BÜCHER - (2021) Elf literarische Epidemien und ein Epilog. Von Michael Thumser. Mit Buchschmuck von Stephan Klenner-Otto. Verlag Tredition, Hamburg, 172 Seiten, gebunden 16,99, als Paperback 8,99, als E-Book 2,99 Euro.
Dieses Buch ist nicht das Buch zur Krise. Freilich ist es ein Buch zur Zeit. Es will einem traditionsreichen, aber noch unbenannten Genre der Weltliteratur einen passenden Namen geben: dem Seuchenbuch. Erstmals erschienen die literaturkundlichen Essays während der Corona-Pandemie auf dieser Website. Vermehrt um ein Kapitel über Mary Shelleys Roman „Der letzte Mensch“, wurden sie sämtlich überarbeitet. Den ausgewählten Werken der deutschsprachigen und internationalen Erzählkunst ist gemeinsam, dass in ihnen Epi- und Pandemien eine Hauptrolle spielen. So belegen die Werkporträts, dass die Furcht vor Seuchen und die Hilflosigkeit gegen deren raumgreifendes Wüten die Geschichte der Menschheit als Konstanten durchziehen. Die Beispielhaftigkeit der vorgestellten Seuchenbücher verleiht ihnen über ihre Epochen hinaus Wirkung und Gewicht.

 

WIR SIND WIE STUNDEN - (2020) Neunzehn Essays von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 340 Seiten, gebunden 21,99, als Paperback 12,99, als E-Book 2,99 Euro.
Mehr oder weniger handeln alle hier versammelten Texte von Zeit und Geschichte, Fortschritt und Vergänglichkeit, von Werten und Werden, Sein und Bleiben, von Wandel und Vanitas. Zwischen 2010 und 2020 entstanden, wollen sie als Essays gelesen werden, folglich weniger als Beiträge zu den Fachwissenschaften, mit denen sie sich berühren, denn als schriftstellerische Versuche. Formal handelt es sich um sprachschöpferische Arbeiten eines klassischen Feuilletonisten, inhaltlich um Produkte von Zusammenschau, Kompilation und Kombination, wobei der Verfasser Ergebnisse eingehender Recherchen mit eigenen Einsichten und Hypothesen verwob, um Grundsätzliches mitzuteilen und nachvollziehbar darüber nachzudenken.


DER HUNGERTURM - (2011/2020) Dreizehn Erzählungen von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 288 Seiten, gebunden 19,99, als Paperback 10,99, als E-Book 2,99 Euro.
Von Paaren handeln etliche der dreizehn Geschichten in diesem Band: von solchen, die auseinandergehen, von anderen, die „trotz allem“ beieinanderbleiben, von wieder anderen, die gar nicht erst zusammenfinden. Dass die Liebe auch bitter schmecken kann, ahnen oder erfahren sie. Sich selbst und der Welt abhanden zu kommen, müssen manche der Figuren fürchten, den Kontakt zu verlieren, allein zu sein oder zu bleiben und nichts anfangen zu können, nur mit sich. Manche haben ihren Platz ziemlich weit fort von den anderen, zum Beispiel hoch über ihnen wie der namenlose Protagonist der Titelerzählung "Der Hungerturm". Irgendwann freilich werden sie aufgestört von der halb heimlichen Sehnsucht, mit jemandem zu zweit zu sein. Bei anderen genügt ein unerwarteter Zwischenfall, dass der Boden unter ihren Füßen ins Schwanken gerät und brüchig wird. Und es gibt auch welche, denen die Wirklichkeit in die Quere kommt, weil sie ein Bild von sich und Ziele haben, die nicht recht zu ihnen passen. Knapp und zielstrebig, bisweilen in filmartig geschnittenen Szenen und Dialogen berichten die zeitlosen Erzählungen davon, wie aus Unspektakulärem etwas Liebes- und Lebensbestimmendes, mitunter Tödliches erwächst.