Hochfranken-Feuilleton
 Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur nicht die langweilige.  (Voltaire)
Aktuell

30. April, Hof, Freiheitshalle, Großes Haus

Seit Jahren boomt Filmmusik beim Publikum, auch im Konzertsaal. Mit dem Programm The Sound of Hans Zimmer & John Williams feierten die Hofer Symphoniker zwei übermächtige Heroen des atmosphärischen und melodiösen Hollywood-Klangs. Das Publikum feierte mit: 2500 Besucherinnen und Besucher bereiteten dem Orchester und Dirigent Ben Palmer einen tosenden Triumph.



Eckpunkt

Wie Wagners wohnen

Von Curiander

2. Mai   Manchen Leuten können ihre Häuser nicht groß genug sein; andere hingegen fliehen aus den Weiten eines überdimensionierten Domizils. Ludwig II., zum Beispiel, der royale Jünger und Mäzen Richard Wagners, ließ um seine allerhöchste Person herum kolossale Schlösser bauen, in denen er am liebsten allein blieb, nur mit sich. Dagegen schätzt Katharina Wagner zu viel Leere offensichtlich nicht: Bis vor Kurzem noch residierte sie im stolzen, streng gegen Zugang und neugierige Einsichtnahme abgeschirmten Eigenheim schräg gegenüber des von ihr geleiteten Bayreuther Festspielhauses; das Anwesen hatte ihr Vater Wolfgang in den Fünfzigerjahren erworben: 700 Quadratmeter Wohnfläche, genug für mehrere Familien, zu viel für eine Dame allein. Darum hat sies jetzt verkauft. Irgendwo zwischen König und Katharina hielt sich ihr Urgroßvater Richard Wagner selber auf: Das Wohnhaus des bekanntermaßen nicht eben bescheidenen Dichterkomponisten und Festspielgründers im Hofgarten enthält auf einer Grundfläche von knapp 360 Quadratmetern neben dem Erd- und einem Obergeschoss noch einen Keller und einen Zwischenstock. „Ich habe viele Jahre meines Lebens dem wüsten Walten des Zufalls anheimgeben müssen, nenne keinen Besitz mein und lebe wie ein Flüchtling in der Welt“, schrieb Wagner 1871 an den bayerischen Regenten. „Für den so wichtig gewordenen Rest meines Lebens muss ich dort leben, wo ich mir einen angemessenen Wirkungskreis bereitet wissen kann: Dies muss im Herzen Deutschlands sein, und glücklich bin ich, diesen jetzt auserwählten Punkt in Ihrem Königreiche inbegriffen gefunden zu haben.“ Tatsächlich finanzierte der Monarch die Baukosten der Villa maßgeblich mit, in der des Meisters „Wähnen“ 1874 endlich „Frieden fand“. Wahnfried nannte er den wuchtigen Sandsteinbau, der ihm bis in sein Todesjahr 1883 üppig Obdach bot. Hier vollendete er mit der „Götterdämmerung“ den singulären Opernzyklus des Nibelungen-„Rings“ und trieb sodann die Arbeit am letzten Werk, dem „Parsifal“, voran. Aus heutiger Sicht nicht eben ein lauschiger Unterschlupf für eine kleine Familie; seinerzeit indes war dergleichen durchaus üblich in den groß- und bildungsbürgerlichen Kreisen, denen der Kleinbürgerspross und steckbrieflich gesuchte Dresdner Revolutionär von ehedem unbedingt zugehören wollte. In den Heimstätten jener Oberschicht galt es nicht nur zu schlafen, zu essen und sich zu erholen; mit sichtbarer, womöglich einschüchternder oder gar Neid erweckender Erlesenheit herausgeputzt, dienten sie ebenso als Bühnenbild kalkulierter Selbstdarstellung, deren Staffage geltenden Maßstäben mindestens zu genügen, wenn nicht sie zu übertreffen hatte. So erhob sich in Wahnfried die Halle des Erdgeschosses über dem – mit 1,66 Metern nicht eben hünenhaft gewachsenen – Tonsetzer sechzehn Meter hoch, und den Saal mit dem bis heute original erhaltenen Steinwayflügel umringten die gediegen gefertigten 2500 Einbände seiner Bibliothek. Seit 1976 beherbergen Wahnfried und die Nebengebäude das bedeutsame Richard-Wagner-Museum. Katharina ist, wie sie mitteilte, in ein Loft mit Dachterrasse im Stadtzentrum gezogen. Der „so wichtig gewordene“ Meister fand seine letzte, längste Bleibe im Garten seiner Villa, unter einem efeuüberwucherten Hügel mit schlichter Platte, gleich beim Grab des Lieblingshundes Russ. Irgendwie unwagnersch: vergleichsweise bescheiden. ■

Alle früheren Kolumnen im Eckpunkte-Archiv.

Rückblick

27. April, Kino
Vor 159 Jahren endete das Gemetzel zwischen den Nord- und Südstaaten der USA - jetzt verheert neuerlich ein Civil War die USA. In der beängstigend authentischen, weil schockierend grausamen Dystopie schickt Alex Garland vier Medienleute durch eine Hölle auf Erden, in der sich erweist: Krieg, für ein Volk beinah das schlimmste Unheil, wird nur von einem noch schlimmeren getoppt - von Bürgerkrieg.

25. April, Hof, Theater, Großes Haus
Für die Armen, Waisen und Entrechteten focht Zorro vor 105 Jahren zum ersten Mal. Seither hat sich die Meinung darüber, was einen Helden zum Superhelden macht, mehrfach gewandelt. Trotzdem inszenierte Tamás Mester ein Musical über den allzu gründlich aus der Zeit gefallenen Mantel-und-Degen-Kämpen. Unbeeinflusst von unfreiwilliger Komik überzeugt zumindest die Musik der vielbeklatschten Produktion.



Theater Hof

Schauspiel
zuletzt
Die Politiker
Der Menschenfeind
Dämon
Die bitteren Tränen der Petra von Kant


Musiktheater
zuletzt
Zorro
1984
Anna Karenina
Sweeney Todd


Theater andernorts
zuletzt
Jelisaweta Bam im Vogtlandtheater
Der König stirbt in Bayreuths Studiobühne
Siegfried, Götterdämmerung
in Bayreuth
Rheingold und Walküre
in Bayreuth


Konzert
zuletzt
Filmmusik: Die Symphoniker huldigen John Williams und Hans Zimmer
Orgel in Hof, Pfeifen in Essen:
Eine „Königin der Instrumente“, gesampelt
Französischer Abend:
Die Symphoniker mit Bizets „Rom“-Symphonie in Selb
Heimspiel im „Wohnzimmer“:
Die „Brassmatiker“ triumphieren in Hof



Film und Fernsehen
zuletzt
Civil War
Anatomie eines Falls
The Zone of Interest
Dune: Part two


Kleinkunst, Kabarett, Comedy
zuletzt
Olaf Schubert bewertet die Schöpfung
Philipp Scharrenberg verwirrt Bad Steben
Birgit Süß:
Das Graue vom Himmel
Definitiv vielleicht:
Günter Grünwald in Hof


Anderes
zuletzt
Aus dem Leben alter Häuser: Begleitbuch zur Hofer Stadtbrand-Ausstellung
Kaiser Heinrich II.: Bamberg erinnert an den Begründer des Bistums und Doms
Humanistisch bleiben: Eine Performance wirbt für Menschlichkeit im Gaza-Krieg
ORGAN2/ASLSP:
Kleine Änderung beim längsten Musikstück der Welt


Essay  
zuletzt
Schwebende Verfahren
Zum 100. Todestag Franz Kafkas
Ein Quantum Brecht muss bleiben
Zum 125. Geburtstag des Stückeschreibers
Symphonien des Grauens
125 Jahre „Dracula“ von Bram Stoker

Man muss ihn nicht mögen
Napoleon zum 200. Todestag


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Die Bücher
Erhältlich über den Buchhandel und online

KAISERS BART - (2022) Dreizehn Essays von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 344 Seiten, gebunden 25, als Paperback 18, als E-Book 9,99 Euro.
Auch Kaisers Bart kommt vor in diesem Buch, zum Beispiel der des mittelalterlichen Staufers Barbarossa. Wenn wir uns indes heute „um des Kaisers Bart streiten“, dann geraten wir nicht wegen einer royalen Haupt- und Staatsaktion, sondern um einer Bagatelle willen aneinander. Dem Gewicht nach irgendwo dazwischen halten sich die Themen der dreizehn Essays auf, die alle dem weiten Feld der Kulturgeschichte entsprossen sind. Umfassend recherchiert und elegant formuliert, erzählen sie über Bücher und Bärte, Genies und Scheusale, über selbstbestimmte Frauen, wegweisende Männer und Narren in mancherlei Gestalt, über Stern- wie Schmerzensstunden der Wort- und Tonkunst. Worüber berichtet wird, scheint teils schon reichlich lang vergangen – „sooo einen Bart“ hat aber nichts davon.



VERPESTETE BÜCHER - (2021) Elf literarische Epidemien und ein Epilog. Von Michael Thumser. Mit Buchschmuck von Stephan Klenner-Otto. Verlag Tredition, Hamburg, 172 Seiten, gebunden 16,99, als Paperback 8,99, als E-Book 2,99 Euro.
Dieses Buch ist nicht das Buch zur Krise. Freilich ist es ein Buch zur Zeit. Es will einem traditionsreichen, aber noch unbenannten Genre der Weltliteratur einen passenden Namen geben: dem Seuchenbuch. Erstmals erschienen die literaturkundlichen Essays während der Corona-Pandemie auf dieser Website. Vermehrt um ein Kapitel über Mary Shelleys Roman „Der letzte Mensch“, wurden sie sämtlich überarbeit. Den ausgewählten Werken der deutschsprachigen und internationalen Erzählkunst ist gemeinsam, dass in ihnen Epi- und Pandemien eine Hauptrolle spielen. So belegen die Werkporträts, dass die Furcht vor Seuchen und die Hilflosigkeit gegen ihr raumgreifendes Wüten die Geschichte der Menschheit als Konstanten durchziehen. Die Beispielhaftigkeit der vorgestellten Seuchenbücher verleiht ihnen über ihre Epochen hinaus Wirkung und Gewicht.

 

WIR SIND WIE STUNDEN - (2020) Neunzehn Essays von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 340 Seiten, gebunden 21,99, als Paperback 12,99, als E-Book 2,99 Euro.
Mehr oder weniger handeln alle hier versammelten Texte von Zeit und Geschichte, Fortschritt und Vergänglichkeit, von Werten und Werden, Sein und Bleiben, von Wandel und Vanitas. Zwischen 2010 und 2020 entstanden, wollen sie als Essays gelesen werden, folglich weniger als Beiträge zu den Fachwissenschaften, mit denen sie sich berühren, denn als schriftstellerische Versuche. Formal handelt es sich um sprachschöpferische Arbeiten eines klassischen Feuilletonisten, inhaltlich um Produkte von Zusammenschau, Kompilation und Kombination, wobei der Verfasser Ergebnisse eingehender Recherchen mit eigenen Einsichten und Hypothesen verwob, um Grundsätzliches mitzuteilen und nachvollziehbar darüber nachzudenken.


DER HUNGERTURM - (2011/2020) Dreizehn Erzählungen von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 288 Seiten, gebunden 19,99, als Paperback 10,99, als E-Book 2,99 Euro.
Von Paaren handeln etliche der dreizehn Geschichten in diesem Band: von solchen, die auseinandergehen, von anderen, die „trotz allem“ beieinanderbleiben, von wieder anderen, die gar nicht erst zusammenfinden. Dass die Liebe auch bitter schmecken kann, ahnen oder erfahren sie. Sich selbst und der Welt abhanden zu kommen, müssen manche der Figuren fürchten, den Kontakt zu verlieren, allein zu sein oder zu bleiben und nichts anfangen zu können, nur mit sich. Manche haben ihren Platz ziemlich weit fort von den anderen, zum Beispiel hoch über ihnen wie der namenlose Protagonist der Titelerzählung "Der Hungerturm". Irgendwann freilich werden sie aufgestört von der halb heimlichen Sehnsucht, mit jemandem zu zweit zu sein. Bei anderen genügt ein unerwarteter Zwischenfall, dass der Boden unter ihren Füßen ins Schwanken gerät und brüchig wird. Und es gibt auch welche, denen die Wirklichkeit in die Quere kommt, weil sie ein Bild von sich und Ziele haben, die nicht recht zu ihnen passen. Knapp und zielstrebig, bisweilen in filmartig geschnittenen Szenen und Dialogen berichten die zeitlosen Erzählungen davon, wie aus Unspektakulärem etwas Liebes- und Lebensbestimmendes, mitunter Tödliches erwächst.