Hochfranken-Feuilleton
 Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur nicht die langweilige.  (Voltaire)
Aktuell

15. März, Selb, Rosenthal-Theater
Im männerdominierten Musikbetrieb konnten sich komponierende Frauen lange kaum durchsetzen. Eine, der es gelang, war Germaine Tailleferre: Mit einer ironisch-verspielten Rarität aus ihrer Feder eröffneten die Hofer Symphoniker ihr Konzert. Solistisch glänzte Orchesterharfenistin Ruth Munzert. Also ein Damenabend? Fast. Denn für die erkrankte Dirigentin  Carolin Nordmeyer sprang vital Arn Goerke ein.



Eckpunkt

Textil als Text

Von Curiander

7. März 2025   So ein Teppich ist ein Inbild der Geduld. Ob bunter Perser oder monotone Auslegeware – man tritt ihn Tag für Tag mit Füßen, und doch erfüllt er langmütig seine Pflicht, einem das Leben weich abzupolstern. Freilich gibt es auch eitle Spielarten: Als Tapisserien entziehen sie sich dem Zutritt und -griff, um wie Gemälde an der Wand kunstvolle Abbilder der Welt vorzuführen. Das größte Exemplar, aus dem vierzehnten Jahrhundert, setzt im französischen Anger auf über hundert Metern die Visionen des biblischen Apokalyptikers Johannes in Szene. Mit nicht ganz so kolossalem Ausmaß bescheidet sich der allerdings noch berühmtere „Teppich von Bayeux“: In 58 filigranen, mit farbigem Wollgarn auf Leinen gestickten Szenen illustriert er auf (heute) 68 Metern, wie sich der Normannenfürst Wilhelm der Eroberer 1066 in der Schlacht bei Hastings das bis dato angelsächsische England unterwarf. Nur wenige Jahre nach dem Ereignis entstanden, nimmt das imposante Bilderband mit vielen - inzwischen ikonischen - Darstellungen unter den Kunstwerken des europäischen Mittelalters einen der höchsten Ränge ein; obendrein wird es, von der Unesco als Welterbe-Dokument geadelt, von Historikern als geschichtliche Quelle gelesen. Textil als Text – zum Beispiel die Frage betreffend, wo denn Herzog Wilhelms unterlegener Widersacher, der englische Landesverteidiger Harold II. Godwinson, residiert habe. Da gibt der Teppich überzeugende Hinweise und verrät: in Bosham. Weil dort wie überall vor tausend Jahren zumeist mit Holz gebaut wurde, haben sich gemeinhin auch von prächtigen Architekturen bestenfalls unscheinbare Rückstände erhalten. Auf dem Teppich erscheint Harolds Palast in Gestalt eines schmucken, von eleganter Festgemeinschaft bevölkerten Pavillons, und zwar ungewöhnlicherweise zwei Mal, was auf die Wichtigkeit jener südenglischen Hafensiedlung schließen lässt. Davon ausgehend, trug die spürsinnige Detektivarbeit von Experten der Universitäten Newcastle und Exeter unlängst weitere Früchte. Denn darüber, wo genau sich der Regierungssitz erhoben habe, konnte bislang nur spekuliert werden. Nun aber förderten Archäologen am vermuteten, vom Teppich genannten Ort, und zwar unter und bei einem Privathaus der kleinen Gemeinde, in ausgegrabenen Holzresten die Überbleibsel einer Toilette aus der Eroberungszeit zutage. Für die Wissenschaftler steht fest, dass solcher Luxus ausschließlich in Gebäuden der obersten Gesellschaftsschicht infrage kam. Für die Grabungsleiter belegt das „angelsächsische Badezimmer“ jenseits allen Zweifels, „dass sich hier die private Machtzentrale Harold Godwinsons befand“. Unter Mediävisten gilt die Entdeckung als Sensation. Doch mischt sich der Geschichten erzählende Teppich sogar in die Politik der Gegenwart ein. Denn an unerwartetem Ort, in Deutschland nämlich, tauchte dieser Tage ein – wenig spektakuläres – Stückchen seines Leinenstoffs auf, das auf fatale Weise ins Schleswiger Landesarchiv gelangt war. Während des Zweiten Weltkriegs hat es der Textilarchäologe Karl Schlabow abgeschnitten und mitgenommen, als er im Auftrag des SS-Unternehmens „Deutsches Ahnenerbe“ das Kunstwerk vermaß. Noch heuer sollen, wie es heißt, die Fasern, zwischen zwei postkartengroßen Glasplatten gesichert, zurückerstattet werden. Immer mal wieder machen sich selbst sehr alte Artefakte dem öffentlichen Bewusstsein bemerkbar, man muss nur ein bisschen Geduld haben. ■

Alle früheren Kolumnen im Eckpunkte-Archiv.

Rückblick

11. März, Plauen, Vogtlandtheater
Den Rang des obsessivsten und obszönsten Werks auf dem Musiktheater macht der Salome von Richard Strauss schwerlich eine andere Oper streitig. Auch in Horst Kupichs Inszenierung erzählt der Einakter eine heilige Geschichte aus der Bibel als Kapitel aus der Geschichte des Unheils, mit mutigen - und ein paar entbehrlichen - Eingriffen ins Original und der verhängnisvoll glühenden Małgorzata Pawłowska in der Titelrolle.

1. März, Kino
Nach „Jackie: Die First Lady“ und „Spencer“ (um Prinzessin Diana) hat Regisseur Pablo Larraín seine Trilogie über tragische Frauengestalten der Hochprominenz nun mit Maria abgeschlossen. Der Chilene und die sensationell einfühlsame Angelina Jolie in der Rolle der Maria Callas erzählen von einer Göttin der ganz großen Oper, die sich zum Verstummen und also zum Verschwinden verurteilt sieht.   


Theater Hof

Schauspiel
zuletzt
Don Karlos
Wutschweiger
Gespenster
Thea von Tauperlitz


Musiktheater
zuletzt
Die Geschöpfe des Prometheus
Hedwig and the Angry Inch
Märchen im Grand-Hotel
Dornröschen


Theater andernorts
zuletzt
Salome im Vogtlandtheater
Die Befristeten
auf Bayreuths Studiobühne
Tristan und Isolde
auf dem Grünen Hügel
The Rake’s Progress
in Plauen


Konzert
zuletzt
Fast ein Damenabend: Musik von Germaine Tailleferre und eine Harfenistin in Selb
Unverhofft kommt oft:
In Hof beginnt der Frühling vor der Zeit
Drei Mal Wiener Klassik: Christian Zacharias dirigiert und spielt Klavier
Harfenzauber:
Ein Pionierstück und Debussys „Danses“ bei den Symphonikern



Film und Fernsehen
zuletzt
Maria
Nosferatu
September 5
Konklave

Kleinkunst, Kabarett, Comedy
zuletzt
Olaf Schubert bewertet die Schöpfung
Philipp Scharrenberg verwirrt Bad Steben
Birgit Süß:
Das Graue vom Himmel
Definitiv vielleicht:
Günter Grünwald in Hof


Anderes
zuletzt
Bücher & Musik: Von Sonne, Mond und Sternen in den „Geschichtsraum“ Bayern
Aus dem Nachlass: Unbekannte frühe Erzählungen von Siegfried Lenz
Gottesanbieterin: Die Lyrikerin Nora Gomringer und ihre Kontake zum Jenseits
Musik & Buch:
Franz Schmidt, Schubert/Webern/Mahler, Puccini, Holocaust


Essay  
zuletzt
Das Findelkind Europas: Kaspar Hauser war nachweislich kein Fürstenspross
Das Kleinmaleins des Lebens

Erich Kästner, doppelt und dreifach
Schwebende Verfahren
Zum 100. Todestag Franz Kafkas
Ein Quantum Brecht muss bleiben
Zum 125. Geburtstag des Stückeschreibers


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Die Bücher
Erhältlich über den Buchhandel und online

KAISERS BART - (2022) Dreizehn Essays von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 344 Seiten, gebunden 25, als Paperback 18, als E-Book 9,99 Euro.
Auch Kaisers Bart kommt vor in diesem Buch, zum Beispiel der des mittelalterlichen Staufers Barbarossa. Wenn wir uns indes heute „um des Kaisers Bart streiten“, dann geraten wir nicht wegen einer royalen Haupt- und Staatsaktion, sondern um einer Bagatelle willen aneinander. Dem Gewicht nach irgendwo dazwischen halten sich die Themen der dreizehn Essays auf, die alle dem weiten Feld der Kulturgeschichte entsprossen sind. Umfassend recherchiert und elegant formuliert, erzählen sie über Bücher und Bärte, Genies und Scheusale, über selbstbestimmte Frauen, wegweisende Männer und Narren in mancherlei Gestalt, über Stern- wie Schmerzensstunden der Wort- und Tonkunst. Worüber berichtet wird, scheint teils schon reichlich lang vergangen – „sooo einen Bart“ hat aber nichts davon.



VERPESTETE BÜCHER - (2021) Elf literarische Epidemien und ein Epilog. Von Michael Thumser. Mit Buchschmuck von Stephan Klenner-Otto. Verlag Tredition, Hamburg, 172 Seiten, gebunden 16,99, als Paperback 8,99, als E-Book 2,99 Euro.
Dieses Buch ist nicht das Buch zur Krise. Freilich ist es ein Buch zur Zeit. Es will einem traditionsreichen, aber noch unbenannten Genre der Weltliteratur einen passenden Namen geben: dem Seuchenbuch. Erstmals erschienen die literaturkundlichen Essays während der Corona-Pandemie auf dieser Website. Vermehrt um ein Kapitel über Mary Shelleys Roman „Der letzte Mensch“, wurden sie sämtlich überarbeitet. Den ausgewählten Werken der deutschsprachigen und internationalen Erzählkunst ist gemeinsam, dass in ihnen Epi- und Pandemien eine Hauptrolle spielen. So belegen die Werkporträts, dass die Furcht vor Seuchen und die Hilflosigkeit gegen deren raumgreifendes Wüten die Geschichte der Menschheit als Konstanten durchziehen. Die Beispielhaftigkeit der vorgestellten Seuchenbücher verleiht ihnen über ihre Epochen hinaus Wirkung und Gewicht.

 

WIR SIND WIE STUNDEN - (2020) Neunzehn Essays von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 340 Seiten, gebunden 21,99, als Paperback 12,99, als E-Book 2,99 Euro.
Mehr oder weniger handeln alle hier versammelten Texte von Zeit und Geschichte, Fortschritt und Vergänglichkeit, von Werten und Werden, Sein und Bleiben, von Wandel und Vanitas. Zwischen 2010 und 2020 entstanden, wollen sie als Essays gelesen werden, folglich weniger als Beiträge zu den Fachwissenschaften, mit denen sie sich berühren, denn als schriftstellerische Versuche. Formal handelt es sich um sprachschöpferische Arbeiten eines klassischen Feuilletonisten, inhaltlich um Produkte von Zusammenschau, Kompilation und Kombination, wobei der Verfasser Ergebnisse eingehender Recherchen mit eigenen Einsichten und Hypothesen verwob, um Grundsätzliches mitzuteilen und nachvollziehbar darüber nachzudenken.


DER HUNGERTURM - (2011/2020) Dreizehn Erzählungen von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 288 Seiten, gebunden 19,99, als Paperback 10,99, als E-Book 2,99 Euro.
Von Paaren handeln etliche der dreizehn Geschichten in diesem Band: von solchen, die auseinandergehen, von anderen, die „trotz allem“ beieinanderbleiben, von wieder anderen, die gar nicht erst zusammenfinden. Dass die Liebe auch bitter schmecken kann, ahnen oder erfahren sie. Sich selbst und der Welt abhanden zu kommen, müssen manche der Figuren fürchten, den Kontakt zu verlieren, allein zu sein oder zu bleiben und nichts anfangen zu können, nur mit sich. Manche haben ihren Platz ziemlich weit fort von den anderen, zum Beispiel hoch über ihnen wie der namenlose Protagonist der Titelerzählung "Der Hungerturm". Irgendwann freilich werden sie aufgestört von der halb heimlichen Sehnsucht, mit jemandem zu zweit zu sein. Bei anderen genügt ein unerwarteter Zwischenfall, dass der Boden unter ihren Füßen ins Schwanken gerät und brüchig wird. Und es gibt auch welche, denen die Wirklichkeit in die Quere kommt, weil sie ein Bild von sich und Ziele haben, die nicht recht zu ihnen passen. Knapp und zielstrebig, bisweilen in filmartig geschnittenen Szenen und Dialogen berichten die zeitlosen Erzählungen davon, wie aus Unspektakulärem etwas Liebes- und Lebensbestimmendes, mitunter Tödliches erwächst.