Hochfranken-Feuilleton
 Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur nicht die langweilige.  (Voltaire)
Aktuell

2. Dezember, Hof
Mindestens 25 Mal hatte es in Hof zuvor schon gebrannt - doch das letzte Großfeuer, am 4. September 1823, wütete am schlimmsten: Binnen sieben Stunden vernichtete das Inferno weite Teile der Stadt. Von der Katastrophe vor jetzt zweihundert Jahren, zugleich von der unerwartet schnellen Wiedergeburt Hofs im Zeichen der biedermeierlichen Bürgerkultur erzählt das Museum Bayerisches Vogtland.




Eckpunkt
Bergwunder

Von Curiander

2. Dezember  Während der vergangenen Sommer der Dürre haben wir auch hierzulande in so manchem See den Wasserspiegel sichtbar sinken sehen; in den Weltmeeren indes lässt der Klimawandel – wie heute jeder von uns, ders wissen will, weiß – die Pegel bedrohlich steigen, des zerrinnenden Polareises wegen. Kaum ist hingegen bekannt, dass solch Auf und Ab auch die Gebirge betrifft. Atmen die Berge? Fast könnten wirs meinen, heben und senken sich doch die Erdkruste und mit ihr die kleineren wie die ganz großen Gipfel wie ein lebendiger Brustkorb, auch wenn nur Geologen es wahrnehmen. So musste es sich Europas höchster Berg gefallen lassen, während der vergangenen zwei Jahre um zwei Meter auf 4805 Meter zu schrumpfen – weil die Erderwärmung einen Teil des bei der Höhenmessung mitgerechneten Gipfelschnees und -eises abschmolz. Andererseits legte der Mount Everest, bekanntlich die höchste Erhebung auf Erden, in den wissenschaftlichen Aufzeichnungen um einen Meter zu. Nicht viel scheint uns das, wenn wir seine aktuelle Höhe von unfasslichen 8849 Metern bedenken, die China und Nepal nach einer gemeinsamen, vor Kurzem veröffentlichten Untersuchung ermittelten. Weil der Koloss an der druckvollen Nahtstelle zwischen der indischen und der eurasischen Kontinentalplatte aufragt, wird er alljährlich um etliche Millimeter nach oben geschoben. Ob ein paar Handspannen mehr oder weniger – auf der schieren Höhe gründet die mythische Gewalt nicht, mit der Berge, eine gewisse Stattlichkeit vorausgesetzt, uns überwältigen können. Zwar lassen wir uns darüber belehren, dass auch die wuchtigsten Massive, wie alles auf Erden, dem Zerfall preisgegeben sind und unter den Wirkkräften der Natur erodieren wie der belangloseste Erdhügel. Dennoch bestaunen wir sie für ihre vermeintliche Unantastbarkeit und das ewige Beharrungsvermögen, das wir ihnen gern zuschreiben. Ungerührt verschließt sich der Berg durch seine Stein- und Steilwände vor uns, und wenn er uns doch in sich hineinlässt, so verweigert er uns in seinen Höhlen das Licht und schreibt uns den Weg vor. Im Berg dürfen wir märchenhafte Schätze vermuten, Erze, Gold und Edelsteine, aber er fordert uns vielerlei Mühen ab, sie an uns zu bringen. Von uns und unserer beschwerlichen Erde wendet sich sein Gipfel schnöde ab und lieber der unzugänglichen Luftigkeit des Himmels zu. Auf dem Berg Sinai soll Mose die göttlichen Zehn Gebote empfangen haben, die dem Hebräervolk die Freiheit von Willkür und Rechtlosigkeit schenkten. Ähnlich, so glauben die Muslime, habe sich in einer Höhle des Bergs Hira, nordöstlich von Mekka, Allah zum ersten Mal seinem Propheten Mohammed offenbart. Auf dem Olymp, dem mit knapp dreitausend Metern höchsten Gebirgszug Griechenlands, siedelten die Hellenen der Antike ihre Götter an; und von der legendären Gralsburg auf dem Montsalvatsch aus zogen die frommen Gralsritter in die heilsbedürftige Welt. In Bergen – dem Untersberg bei Salzburg, dem Kyffhäuser im Harz – sollen große deutsche Kaiser ihrer Wiederkunft und der Erneuerung der Nation entgegenschlummern. Und auf Thomas Manns „Zauberberg“ vollzieht sich alljährlich das Wunder, dass es im Sommer schneien und im Winter sommerwarm werden kann. Dass Gebirge und Gipfel sich so leicht nicht beeindrucken lassen, ohne erst über sich hinauswachsen zu müssen – vielleicht imponiert und irritiert uns das unbewusst am stärksten. Ein Berg schüttelt sich nicht, nur weil einer zu hart auf ihm auftritt. ■

Alle früheren Kolumnen im Eckpunkte-Archiv.

Rückblick

29. November, Hof, Theater, Studio
222 Millionen Euro: So teuer war vor sechs Jahren der kostspieligste Spielertransfer im internationalen Fußball. Dass zwar die Geschäftemacherei, aber keineswegs die Gefühllosigkeit in der Kicker-Provinz etwas kleiner ausfällt, führt das Drei-Personen-Match Der rote Löwe vor: Unter Ralf Hockes Leitung spult sich ein perfektes Dialogstück in perfekter Dialogregie ab - übrigens genau mit der Länge eines Fußballspiels.

25. November, Selb, Rosenthal-Theater
Eduard Hanslick fand, dass Tschaikowskis Violinkonzert „stinkt“, dafür erschnupperte Robert Schumann in der „Großen C-Dur“-Symphonie  Franz Schuberts „Weihrauch“-Düfte - sogar namhafte Kritiker liegen im Ton gelegentlich daneben. Den Hofer Symphonikern ließ sich das nicht nachsagen, als sie beide Werke intonierten. Henri-Marteau-Preisträgerin Hawijch Elders glänzte als Violinsolistin.



Theater Hof

Schauspiel
zuletzt
Der rote Löwe
Bilder deiner großen Liebe
Timetraveller’s Guide to Donbas

Die Eisbärin



Musiktheater
zuletzt
A Tale of two Cities
Tell me on a Sunday
Die Zauberflöte
Falstaff

Theater andernorts
zuletzt
Siegfried, Götterdämmerung in Bayreuth
Rheingold und Walküre
in Bayreuth
Parsifal
auf Bayreuths Grünen Hügel
Die Schöne und das Biest auf der Luisenburg


Konzert
zuletzt
Henri-Marteau-Preisträgerin: Die Geigerin Hawijch Elders gibt Selb die Ehre
„Sehnsuchtsorte“
auf der Reiseroute von Kinan Azmeh und den Hofer Symphonikern
„Großes Herbstkonzert“
in der Basilika Waldsassen mit Schubert und Mendelssohn
Das Hofer Atrium-Quintett
mit klassisch-romantischer und -moderner Bläsermusik



Film und Fernsehen
zuletzt
Ein ganzes Leben
57. Internationale Hofer Filmtage
Oppenheimer
Mission: Impossible 7/1 – Dead Reckoning



Kleinkunst, Kabarett, Comedy
zuletzt
Olaf Schubert bewertet die Schöpfung
Philipp Scharrenberg verwirrt Bad Steben
Birgit Süß:
Das Graue vom Himmel
Definitiv vielleicht:
Günter Grünwald in Hof


Anderes
zuletzt
200 Jahre Hofer Stadtbrand: Wiedergeburt im Zeichen des Biedermeiers
„Lichtspiel“:
Daniel Kehlmanns Roman über die NS-Verstrickungen des G. W. Pabst
Stille Örtchen: Das Porzellanikon in Selb erzählt aus der Geschichte des Klos
Bücher & Musik:
Komponistinnen, Markgrafenkirchen, Bläserserenaden


Essay  
zuletzt
Ein Quantum Brecht muss bleiben
Zum 125. Todestag des Stückeschreibers
Symphonien des Grauens
125 Jahre „Dracula“ von Bram Stoker

Man muss ihn nicht mögen
Napoleon zum 200. Todestag
In den Städten der Toten

Katakomben in Rom, Paris, Wien

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Die Bücher
Erhältlich im Buchhandel und online

KAISERS BART - (2022) Dreizehn Essays von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 344 Seiten, gebunden 25, als Paperback 18, als E-Book 9,99 Euro.
Auch Kaisers Bart kommt vor in diesem Buch, zum Beispiel der des mittelalterlichen Staufers Barbarossa. Wenn wir uns indes heute „um des Kaisers Bart streiten“, dann geraten wir nicht wegen einer royalen Haupt- und Staatsaktion, sondern um einer Bagatelle willen aneinander. Dem Gewicht nach irgendwo dazwischen halten sich die Themen der dreizehn Essays auf, die alle dem weiten Feld der Kulturgeschichte entsprossen sind. Umfassend recherchiert und elegant formuliert, erzählen sie über Bücher und Bärte, Genies und Scheusale, über selbstbestimmte Frauen, wegweisende Männer und Narren in mancherlei Gestalt, über Stern- wie Schmerzensstunden der Wort- und Tonkunst. Worüber berichtet wird, scheint teils schon reichlich lang vergangen – „sooo einen Bart“ hat aber nichts davon.



VERPESTETE BÜCHER - (2021) Elf literarische Epidemien und ein Epilog. Von Michael Thumser. Mit Buchschmuck von Stephan Klenner-Otto. Verlag Tredition, Hamburg, 172 Seiten, gebunden 16,99, als Paperback 8,99, als E-Book 2,99 Euro.
Dieses Buch ist nicht das Buch zur Krise. Freilich ist es ein Buch zur Zeit. Es will einem traditionsreichen, aber noch unbenannten Genre der Weltliteratur einen passenden Namen geben: dem Seuchenbuch. Erstmals erschienen die literaturkundlichen Essays während der Corona-Krise auf dieser Website. Vermehrt um ein Kapitel über Mary Shelleys Roman „Der letzte Mensch“, wurden sie sämtlich überarbeit. Den ausgewählten Werken der deutschsprachigen und internationalen Erzählkunst ist gemeinsam, dass in ihnen Epi- und Pandemien eine Hauptrolle spielen. So belegen die Werkporträts, dass die Furcht vor Seuchen und die Hilflosigkeit gegen ihr raumgreifendes Wüten die Geschichte der Menschheit als Konstanten durchziehen. Die Beispielhaftigkeit der vorgestellten Seuchenbücher verleiht ihnen über ihre Epochen hinaus Wirkung und Gewicht.

 

WIR SIND WIE STUNDEN - (2020) Neunzehn Essays von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 340 Seiten, gebunden 21,99, als Paperback 12,99, als E-Book 2,99 Euro.
Mehr oder weniger handeln alle hier versammelten Texte von Zeit und Geschichte, Fortschritt und Vergänglichkeit, von Werten und Werden, Sein und Bleiben, von Wandel und Vanitas. Zwischen 2010 und 2020 entstanden, wollen sie als Essays gelesen werden, folglich weniger als Beiträge zu den Fachwissenschaften, mit denen sie sich berühren, denn als schriftstellerische Versuche. Formal handelt es sich um sprachschöpferische Arbeiten eines klassischen Feuilletonisten, inhaltlich um Produkte von Zusammenschau, Kompilation und Kombination, wobei der Verfasser Ergebnisse eingehender Recherchen mit eigenen Einsichten und Hypothesen verwob, um Grundsätzliches mitzuteilen und nachvollziehbar darüber nachzudenken.


DER HUNGERTURM - (2011/2020) Dreizehn Erzählungen von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 288 Seiten, gebunden 19,99, als Paperback 10,99, als E-Book 2,99 Euro.
Von Paaren handeln etliche der dreizehn Geschichten in diesem Band: von solchen, die auseinandergehen, von anderen, die „trotz allem“ beieinanderbleiben, von wieder anderen, die gar nicht erst zusammenfinden. Dass die Liebe auch bitter schmecken kann, ahnen oder erfahren sie. Sich selbst und der Welt abhanden zu kommen, müssen manche der Figuren fürchten, den Kontakt zu verlieren, allein zu sein oder zu bleiben und nichts anfangen zu können, nur mit sich. Manche haben ihren Platz ziemlich weit fort von den anderen, zum Beispiel hoch über ihnen wie der namenlose Protagonist der Titelerzählung "Der Hungerturm". Irgendwann freilich werden sie aufgestört von der halb heimlichen Sehnsucht, mit jemandem zu zweit zu sein. Bei anderen genügt ein unerwarteter Zwischenfall, dass der Boden unter ihren Füßen ins Schwanken gerät und brüchig wird. Und es gibt auch welche, denen die Wirklichkeit in die Quere kommt, weil sie ein Bild von sich und Ziele haben, die nicht recht zu ihnen passen. Knapp und zielstrebig, bisweilen in filmartig geschnittenen Szenen und Dialogen berichten die zeitlosen Erzählungen davon, wie aus Unspektakulärem etwas Liebes- und Lebensbestimmendes, mitunter Tödliches erwächst.